Ein Erfahrungsbericht über mein Jahr am Georgia Institute of Technology

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Mein Name ist Julian Straub, ich bin Student in Elektro- und Informationstechnik an der Technischen Universität München. Im Rahmen des Double-Degree Programms der TU München, war es mir möglich von August 2010 bis Mai 2011 am Georgia Institute of Technology Electrical and Computer Engineering zu studieren. Die Erfahrungen dieses Auslandssemesters haben mich sowohl persönlichen sehr bereichert als auch in meiner akademischen Entwicklung ein großes Stück weitergebracht. Im Folgenden gebe ich eine Zusammenfassung dieser Erfahrungen und deren Auswirkungen auf mich in grob chronologischer Reihenfolge bevor ich zum Abschluss ein kurzes Resümee ziehe.

Alles begann mit meinem Entschluss im September 2009 mich für ein Auslandsstudium über die TU München zu bewerben. Dieses Ziel bedingte, dass ich mich das gesamte Wintersemester wenig mit meinem Studium, sondern hauptsächlich mit dem Verfassen mehrerer Bewerbungen um Stipendien und Studienplätze beschäftigte. Die Auseinandersetzung mit dem Verfassen von Bewerbungen barg schon die ersten Herausforderungen für mich, da ich vor diesem Zeitpunkt keine großen Bewerbungen geschrieben hatte.

Am 25. März 2010 wurde meine Bewerbung am Georgia Tech angenommen und ich war sehr erleichtert endlich Gewissheit zu haben und mich um die weitere Organisation des Auslandaufenthalts kümmern zu können. Fast gleichzeitig wurde ich auch in das Reisestipendium der Deutschen Fulbright Kommission aufgenommen, welches Reise und Visums-Kosten übernahm. So rückte die Frage der Finanzierung des eigentlichen Aufenthalts in den Mittelpunkt. An dieser Stelle bin ich sehr dankbar für die exzellente Betreuung durch Professor Steinbach, der mich auf die Möglichkeit der Förderung durch die Heinrich und Lotte Mühlfenzl-Stiftung aufmerksam machte. Auf meine Bewerbung um die Lebensunterhalts-Förderung durch die Mühlfenzl-Stiftung erhielt ich Anfang Juni 2010 die Zusage. Durch die großzügige Bemessung des Stipendiums klärte sie die letzte große Unbekannte und ich konnte das Sommersemester 2010 in Vorfreude auf das Auslandsstudium zu Ende bringen.

Eine Woche vor meinem Abflug nach Atlanta schloss ich mit der Präsentation meiner Bachelorarbeit mein Grundstudium an der TU München ab. So hatte ich eine gute Woche Zeit, um mich in Ruhe von meinen Freunden und meiner Familie zu verabschieden und die Koffer für Amerika zu packen.

Am 14. August 2010 flog ich nach Atlanta, Georgia. Bereits von Deutschland aus hatte ich ein Zimmer von einem anderen deutschen Studenten der TU München übernommen. So konnte ich mich von vorn herein darauf konzentrieren die Universität und den Campus kennen zu lernen. In der ersten Woche ergaben sich dazu bei einer Fülle an Informationsveranstaltungen genügend Gelegenheiten. Schon in der zweiten Woche ging es los mit der Wahl der Kurse. Dies war für mich schwierig und frustrierend, da es kaum möglich war Informationen über den Kurs zu finden, ohne in eine Vorlesung des Kurses zu gehen. Nach einer sehr anstrengenden Woche kristallisierten sich dann vier Kurse heraus: Random Processes, Pattern Recognition, Multi-Robot Systems und Autonomous Control of Robotic Systems. Mit der Wahl dieser Kurse bin ich sehr zufrieden, da ich vor allem die letzten beiden Kurse in dieser Form an der TU München nicht hören hätte können. Sie beinhalteten sehr interessante Inhalte die genau in meine akademische Spezialisierungsrichtung Robotik gingen.

Die ersten Wochen waren besonders aufregend und spannend, weil ich so viele neue Leute kennen lernte und so viel Neues täglich auf mich einströmte. Gleich am dritten Wochenende nahm ich an einem Ausflug des World Student Fund Exchange Clubs an die Atlantikküste teil. Auf diesem Trip lernte ich den Großteil aller Leute kennen mit denen ich während der zwei Semester zu tun haben würde. Wir gingen in den Wellen des Atlantiks baden, zum Krabben und Muscheln essen und Savannah ansehen, eine für amerikanische Verhältnisse sehr alte Südstaaten-Stadt. Am Ende des Ausflugs wurde ich zum Officer im World Student Fund Exchange Club (WSFEC) gewählt. Der WSF unterstützt seit langem den Austausch zwischen deutschen Universitäten und dem Georgia Tech. In einem Team von vier Officern organisierten wir in den zwei Semestern für die Mitglieder Veranstaltungen wie BBQs, klettern im Hochseilgarten von Georgia Tech und den Besuch eines sehr schönen Weihnachtskonzerts. Unser Ziel war es den Club internationaler zu machen, um den Austausch zwischen den Kulturen zu fördern. Mir machte es Spaß mich in dem Team gemeinnützig zu engagieren.

An den Wochenenden nutzte ich die freie Zeit um Atlanta kennen zu lernen. So machte ich eine Radtour mit Freunden durch die Stadt und besuchte die Attraktionen Atlantas wie World of Coca Cola und das Georgia Aquarium. Manchmal waren es nur kleine Aktionen wie zum Beispiel Jägerschnitzel kochen mit Tom, einem Studienfreund aus Texas, oder der Besuch eines Freizeitparks, der nur für Georgia Tech Studenten geöffnet war, die Abwechslung vom harten Studium brachten.

Über Thanksgiving war ich von Tom nach Austin, Texas, zu seiner Familie eingeladen. Ich wurde sehr herzlich in Empfang genommen und konnte einige stressfreie Tage in sehr netter Gesellschaft verbringen. Neben dem traditionellen Truthahn zu Thanksgiving im Kreise der ganzen Familie, wurde ich auf original texanisches BBQ eingeladen, das für 8 Stunden geräuchert wird. Auf dem Trip zu der Familie von Dallas nach Austin bekam ich einen guten Ausblick auf die flache Landschaft von Texas. Nirgends sonst habe ich bis jetzt das Gefühl gehabt, dass die Erde in alle Richtung leicht gekrümmt absinkt und ich so viel Himmel über mir habe. Auch die Nächte waren ein Erlebnis für mich, da es so dunkel wurde, dass ich nicht mehr zwischen Himmel und Erde unterscheiden konnte.

Neben diesen Freizeitaktivitäten war das erste Semester geprägt von der Anpassung an die amerikanische Art des Studierens. Vor allem die Vorlesungen in der Robotik waren deutlich frischer und näher an dem Stand der Forschung, als alles, was ich dazu bis jetzt an der TU München gehört hatte. Außerdem fordert der Vorlesungsstil mit extrem viel Eigenbeteiligung dazu auf, sich intensiver mit der Materie zu beschäftigen. So hatte ich in jeder der vier Vorlesungen meistens einmal pro Woche ausführliche Hausaufgaben, die teils aus Rechen- und teils aus Programmieraufgaben bestanden. In Autonomous Control of Robotic Systems wurde in kleinen Gruppen ein begleitendes Projekt mit selbst gewähltem Inhalt durchgeführt. Die Teamarbeit in diesem Projekt war ein einmaliges Erlebnis, da auch meine Teammitglieder höchst motiviert und begeistert waren. Wir programmierten einen Roboter, der in einer simulierten Umgebung “Ostereier” selbständig finden und in eine Basis bringen konnte, während er eine Karte der Umgebung erstellte um nicht an schon erkundete Plätze zurückzukehren. Insgesamt habe ich das Gefühl, dass der sehr hohe Arbeitsaufwand sich voll ausgezahlt hat, da ich das Gefühl habe die Inhalte tiefer zu verstehen und besser anwenden zu können.

Über die drei Wochen Wintersemesterferien besuchte mich ein Freund von Deutschland und wir verbrachten die Hälfte der Zeit in Miami, um an Weihnachten am Strand Volleyball zu spielen und die zweite Hälfte in New York, wo wir Silvester im Central Park feierten. Es war eine interessante Erfahrung mitten im Winter eine Woche am Strand zu verbringen. Während wir in Miami waren mieteten wir uns einen Tag ein Auto um einen Trip nach Key West, dem südlichsten Ort des amerikanischen Festlands, zu machen. Die Fahrt dahin war gespickt mit wunderbaren Anblicken, weil die Straße nach Key West über eine Kette von kleinen Inseln führt die miteinander über längere Brücken verbunden sind, die einfach gerade über das Meer führen. Nach der Woche Sommer in Florida flogen wir nach New York City, das zu der Zeit einiges an Schnee hatte und bitter kalt war. Gleich am ersten Abend fuhren wir zum Times Square, wo wir erst einmal fünf Minuten nur da standen und staunten. New York City war eine überwältigende Erfahrung und hat meinen Maßstab für Größe deutlich verrückt. Ich hatte vorher noch nie so viele hohe Hochhäuser auf einem Fleck gesehen. Auch die Geschäftigkeit der New Yorker und die Geschwindigkeit, mit der alles abläuft, waren bemerkenswert. Mir wurde einiges davon erst klar, als ich, wieder zurück in Atlanta, beim Joggen plötzlich ein sehr merkwürdiges Gefühl bekam: Mir wurde bewusst, wie viel Himmel ich über mir sah und wie ruhig die Straße vor mir war.

Das zweite Semester war etwas ruhiger als das erste. Die Freundschaften hatten sich mittlerweile gefestigt und Gruppen hatten sich herausgebildet. Durch die Festigung des sozialen Umfeldes und dadurch, dass ich mich an das Studieren am Georgia Tech gewöhnt hatte, konnte ich mich mehr auf das Studium und den Aufbau von Kontakten zu den Robotik Lehrstühlen konzentrieren.

So hatte ich ein spannendes Forschungsprojekt mit Professor Dellaert arrangiert, einem exzellenten Professor in meiner Spezialisierungsrichtung. Dies eröffnete mir die Möglichkeit Kontakt zu Frank Dellaert und den PhD Studenten aus seinem Lab aufzubauen und zu festigen. Mir war das wichtig, weil ich mir klar werden wollte, ob ein PhD am Georgia Tech oder an einer anderen amerikanischen Universität für mich in Frage kommen würde.

Neben dem Special Problem besuchte ich die drei Vorlesungen Optimal Control, Artificial Intelligence and Partial Differencial Equations in Image Processing and Computer Vision. Auch diese Vorlesungen waren wieder sehr spannend und genauso wie im ersten Semester sehr nahe am aktuellen Stand der Forschung.

Trotz des stärkeren Focuses auf das Studium im zweiten Semester war es mir wichtig, mehr von Amerika kennen zu lernen. So nutzte ich eine Woche Frühlingsferien, um mir mit einer guten Freundin aus Atlanta Chicago anzusehen. Wir genossen mehrere Kunstmuseen und besichtigten den Willis Tower (ehemals Sears Tower), das höchste Gebäude Amerikas. In 412m Höhe konnte man in einem abgeschlossenen vollkommen verglasten Balkon nach unten sehen, aber auch generell einen wunderbaren Ausblick über die Stadt und das Umland genießen. Sehr gut gefallen haben mir auch die Besuche von zwei verschiedenen Jazz und Blues Bars in Chicago. Natürlich probierten wir auch die original Chicago-Style Deep Dish Pizza. Mit ihrem mehr kuchenförmigen Aussehen, war sie deutlich anders als normale Pizzas, aber schmeckte genauso gut.

Außerdem ergab sich im April die Möglichkeit im Rahmen eines Fulbright Seminars zum Thema “Greening the Planet” Philadelphia kennen zu lernen. Dieses Seminar beinhaltete verschiedene Vorträge und eine Teamarbeit. Im Team waren wir gefordert eine Geschäftsidee zu finden und auszuarbeiten, die helfen würde, die Umweltzerstörung zu beenden. Es war sehr spannend mit Stipendiaten aus allen Teilen der Welt über dieses Thema zu diskutieren und einen Business-Plan zu erarbeiten. Am Ende setzte sich unser Team mit einer Idee, die von mir eingebracht und im Team verfeinert wurde, gegen die anderen Teams durch. Im Zuge des Seminar Programms halfen wir zum Beispiel auch dabei in einer Parkanlage die Folgen eines Sturmes aufzuräumen. Am letzten Tag hatte ich noch Zeit mir die Stadt anzusehen. Philadelphia hat mir sehr gut gefallen, weil es eine sehr grüne Stadt ist mit einer Innenstadt, die man sehr gut zu Fuß besichtigen kann und die mit ihren vielen kleinen Läden relativ europäisch anmutet.

Schon zum Anfang des Auslandsstudiums hatte ich begonnen mein lange vernachlässigtes Hobby Joggen wieder aufzunehmen und Anfang 2011 setzte ich mir das Ziel, am Halb-Marathon in Atlanta am 20. März teilzunehmen. Meine angestrebte Zeit erreichte ich dank intensiver neunwöchiger Vorbereitung. In dieser Zeit war ich fast jeden Tag am Laufen und lernte so die Innenstadt von Atlanta und deren Wohngebiete besser kennen. Der Halb-Marathon, an dem tausende Läufer teilnahmen, war ein einmaliges Erlebnis, nicht zuletzt dank der Unterstützung meiner Freunde, dich mich auf den letzten Metern anfeuerten.

Nach einer intensiven Prüfungszeit Ende April 2011, war es dann leider schon Zeit Abschied zu nehmen. Dazu hatte ich mir zwei Wochen Zeit genommen um in Ruhe mit dem Studium am Georgia Tech abzuschließen und mich von meinen Freunden dort zu verabschieden. Zum Beispiel joggte ich mit einem meiner besten Freunde 30km zum Stonemountain, einer Attraktion Atlantas, die ich noch nicht besichtigt hatte. Stonemountain ist ein riesiger Steinblock, der 250m über die sonst relativ flache Landschaft um Atlanta hervorragt.

Im Moment mache ich ein Praktikum in Pasadena, in Kalifornien, bei Evolution Robotics, einer Robotik Firma die einen Roboter, der den Fußboden systematisch wischen kann, entwickelt hat und vertreibt. Ich hatte mich für dieses Praktikum Anfang 2011 beworben, da ich eine kleine Startup-Firma erleben wollte, die im Bereich Robotik tätig ist. Hier setze ich meine Arbeit im Bereich Computer Vision, die ich schon im zweiten Semester am Georgia Tech mit Frank Dellaert begonnen hatte, fort.

Alles in allem war das Jahr im Ausland unglaublich – ich habe so viele neue Eindrücke und Erfahrungen gemacht, neue Freunde von überall auf der Welt gewonnen, schöne und ganz andere Natur gesehen und verschiedenste amerikanische Städte besichtigt und ihre Menschen erlebt. Dadurch hat sich mein persönlicher Horizont deutlich erweitert und ich bin innerlich an den Herausforderungen des Auslandsstudiums gewachsen. Durch das viele Reisen in Amerika habe ich ein ganz anderes Gefühl für Distanzen entwickelt, das Europa plötzlich klein erscheinen lässt. Durch den Kontakt zu Menschen aus verschiedensten Ländern der Welt, habe ich sehr persönliche Einblicke in das Leben dort bekommen. Das hat meinen Blickwinkel globaler werden lassen und mir mehr als einmal gezeigt, wie gut wir es in Deutschland haben. Akademisch haben sich mir durch die Arbeit im Robotics Lab des Georgia Tech neue Perspektiven aufgetan und ich habe mich in ein neues Themengebiet eingearbeitet, in dem ich auch meine Masterarbeit schreiben möchte. Außerdem habe ich Kontakte geknüpft, die mir mit Sicherheit im Laufe meines weiteren Studiums und darüber hinaus hilfreich sein werden.

Ich fühle mich geehrt die Chance dieses Auslandssemesters bekommen zu haben und ich möchte meine Erfahrungen mit möglichst vielen Menschen teilen, um ein besseres gegenseitiges Verständnis unter den verschiedenen Kulturen zu fördern. Hierfür habe ich zum Beispiel bereits zum Anfang meines Auslandsstudiums einen Blog auf meiner Homepage eingerichtet, auf dem ich Bilder einstelle und von meinen Erfahrungen und Eindrücken berichte. Außerdem habe ich mir vorgenommen, mich sobald ich an der TU München zurück bin bei der Betreuung von Austauschstudenten zu engagieren.

Sehr dankbar bin ich für die Unterstützung durch die Lotte und Heinrich-Mühlfenzl Stiftung, das TUMExchange Programm, das Fulbright Programm, das Max Weber-Programm und das Atlantis Programm. Außerdem gilt meine tiefe Dankbarkeit den Menschen, die mir auf dem Weg geholfen haben, sei es durch das Korrekturlesen von Bewerbungen, durch das Verfassen von Empfehlungsschreiben oder einfach durch unterstützende Worte.

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